Roland Jahn - Wir angepassten   Überleben in der DDR

Nein, für mich war die DDR ein Unrechtsstaat: da gibt es nichts zu beschönigen. Und dies Buch tut das auch ganz gewiss nicht. Es stellt vielmehr die berechtigte Frage nach den Möglichkeiten für die Menschen, die dort gelebt haben. Wie konnten sie sich einrichten in diesem System aus Mauer, Schießbefehl, SED und Staatssicherheit einerseits und dem durchaus fortschrittlichen Klein- und Kinderbetreuungsmodell andererseits? Die Bewohner der DDR sahen sich immer wieder einer schwierigen Frage ausgesetzt, nämlich der nach „mitmachen oder verweigern“?

 

Die insgesamt elf Kapitel spiegeln all die unterschiedlichen Antworten auf diese schwierige Frage. Jahn beschreibt dabei das eigene Schicksal bis hin zur Verurteilung wegen „staatsfeindlicher Aktivitäten“ im Jahre 1982 und zur Zwangsübersiedlung nach Westberlin in 1983. Von dort aus hielt er den Kontakt zur Opposition in der DDR. Nach 1989 arbeitet er für ARD und ZDF und wird im Januar 2011 vom Bundestag zum Beauftragen für die Stasi-Unterlagen gewählt. Ein ergreifendes Schicksal.

 

Auch andere kommen zu Wort: Freunde wie Jürgen Fuchs, Interviewpartner aus Jahns Zeit als Journalist, ehemalige Mitschüler bzw. Mitstudenten, alle beleuchten bestimmte Lebenssituationen in der DDR, die für sie zu Schlüsselerlebnissen wurden. Gleich im ersten Kapitel erfahren wir, was sich konkret hinter dieser Formulierung verbirgt. Es geht um Ereignisse im Gefolge der Ausbürgerung des Sängers und Liedermachers Wolf Biermann im November 1976. Lesen Sie selbst, wie eng Wohl und Wehe eines Studentenlebens damals an einer einzigen nicht angepassten Meinungsäußerung hing und wie brutal der Staat die Solidarität der Mitstudenten gegen jegliche „Abweichung“ einforderte.

 

Jahn möchte mit diesem Buch den Dialog zwischen den Menschen aus der ehemaligen DDR fördern: eine weitere Diskussion über das Gewesene sei überfällig, eine Kultur des Erzählens soll den echten Alltag damals verdeutlichen. Vorverurteilungen und schematischen Einordnungen nach Täter und Opfer, nach Gut und Böse lehnt er ab. Jeder Einzelne habe auch jetzt die Chance, ehrlich seinen Anteil am Geschehen in neuem Licht zu überprüfen.

 

Die Anpassung, die die ehemalige DDR von ihren Bürger einforderte, sei fragwürdig. Die Anpassung, die der Nachfolgestaates Deutschland den ehemaligen DDR-Bürgern später abverlangte, müsse auch durchaus kritisch hinterfragt werden. Jahn ist nachsichtig gegenüber denen, die sich in der DDR den Anforderungen des Tages oft genug zähneknirschend gefügt haben. Keine Gnade dagegen kennt er für die uneinsichtigen Stasi- oder SED-Hardliner, denen er mangelnde Schuldanerkenntnis und verweigerte Selbstreflektion vorwirft.

 

Das enorme Echo auf die in 2014 gebundenen Erstausgabe hat den Autor ermutigt, für die jetzt bei Piper erschienene Taschenbuchausgabe, die 9.99 € kostet, ein erweitertes Vorwort zu schreiben. Für wenig Geld bietet dies Buch viele Informationen über die ehemalige DDR und das Verhalten ihrer Bewohner.

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