Henning Sußebach Deutschland ab vom Wege Eine Reise durch das Hinterland
Henning Sußebach hat ein schmales Buch geschrieben; ich hoffe, dass es in unserem reklamesüchtigen Zeitalter nicht untergeht.
Worum geht es? Sußebach, Reporter und Redakteur der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, hat sich auf den Weg gemacht, vom Darßer Ort bis auf die Zugspitze, also über tausend Kilometer an 49 Tagen, aber nicht auf den üblichen Wegen auf Asphalt und Beton, sondern über das von ihm so bezeichnete „Hinterland“. Das meint tatsächlich den nicht befestigten Teil Deutschlands, der über neunzig Prozent seiner Fläche ausmacht.
Und er muss auf dieser Tour einiges lernen: über Stiefel, die zwar schick aussehen, aber Wasser durchlassen, über scheußlich schmerzende Füße durch Feuchtigkeit, über das größte Manko des so wandernden Menschen, seine „Stocklosigkeit“. Vor allem aber über Menschen, die quer zur städtischen Welt leben, welche auch für Sußebach bis dahin die tonangebende war.
Da gibt es zum Beispiel Günther, der auf einem alten, ziemlich heruntergekommenen Resthof in Mecklenburg lebt. Freundlich lädt er den Autor zum Übernachten ein. Günther berichtet aus seinem Leben, dem in der ehemaligen DDR, dem neuen als Arbeitslosem im wiedervereinigten Deutschland. Günther gehört zu den Verlierern unserer Gesellschaft, zu denen, die sich von den Regierenden gleich welcher politischer Couleur ohne Achtung und Aufmerksamkeit behandelt fühlen. Als „Landmensch“ fühlt er sich auf vielen Ebenen marginalisiert. Da geht es eben nicht nur um Geld, sondern um vieles anderes. In der Konsequenz: Günther wählt AFD.
Immer wieder wird Sußebach auf seinem Weg auf diesen Stadt-Land-Gegensatz stoßen. Immer wieder kommen im Buch die Menschen zu Wort, die als Nicht-Urbane mancher politischen Entwicklung hilflos ausgeliefert sind, so wie ein Schlachter aus der Nähe von Schwerin, dessen Arbeitsplatz durch die Sanktionen gegen Russland auf dem Spiel steht. Gilt die Meinung dieser Menschen noch etwas? Oder drehen sich gerade in Berlin und anderswo die Eliten und die diese darstellenden Medien eigentlich nur noch um sich selbst? Kann man solche Entwicklungen beeinflussen? Indem man zum Beispiel bei der „Zeit“ per Lotterie einen Reporter pro Monat einteilt, aus irgendeiner Ecke Deutschlands zu berichten, und zwar nicht per Onlinerecherche, sondern vor Ort, nah an den Menschen?
Uns Lesern verschafft der Autor einen ungeschminkten, sprachlich brillanten Bericht zur Lage unserer Nation, dem auch selbstkritische Fragen nicht fremd sind. Henning Sußebach hat ein leises Buch geschrieben, von dem ich hoffe, dass in der Flut von mehr oder minder lauten Selbsterfahrungsreisebeschreibungen nicht untergeht.
Das Buch ist im Verlag Rowohlt erschienen und kostet € 19.95.
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