Palmer - Wir können nicht allen helfen

In seinem neuen Buch wagt sich Boris Palmer an ein heißes Eisen. Seit 2015 sind aus allen Teilen der Welt vermehrt Flüchtlinge zu uns nach Deutschland gekommen. Nicht erst seit den Ereignissen von Köln am Ende des Jahres 2015 stellen sich uns Fragen, die wir beantworten müssen, wenn Integration gelingen soll.

 

 

Können und sollen wirklich alle zu uns kommen können, denen es im eigenen Lande nicht gut geht? Gibt es eine Grenze der Belastbarkeit für Deutschland, und wann ist sie erreicht? Wie kann eine Integration derjenigen gelingen, die eine gute Bleibeperspektive haben? Wie kann man zum Beispiel trotz des stark reglementierten Baurechts in Deutschland und trotz mancher kommunalpolitischer Hindernisse bezahlbaren Wohnraum für Flüchtlinge schaffen? Denn wenn Familiennachzug tatsächlich gelingen soll, müssen konkrete und bezahlbare Angebote vorliegen, und zwar nicht in irgendeinem sozial schwierigen Vorort, sondern mitten in einer gut durchmischten Stadt. Wie kann man Flüchtlinge in unsere hoch komplizierte Arbeitswelt integrieren? Müssen wir nicht auch in Fragen der Arbeitsvermittlung und -begleitung ganz neue Wege gehen, um die Menschen aus gänzlich anders strukturierten Arbeitswelten in die unsere aufnehmen zu können?

 

 

 

In einem nachdenklichen Vorwort zu diesem Buch stellt sich Palmer diesen Fragen und versucht, sie mit dem politischen Alltag als Oberbürgermeister von Tübingen zu verzahnen. Kein leichtes Unterfangen, denn wenn der Pragmatiker Palmer über die Moral von Flüchtlingspolitik redet und schreibt oder darüber, welchen Stellenwert Europa nach wie vor für uns hat oder haben sollte, wenn er von Ober- und Belastungsgrenzen durch ungesteuerte Zuwanderung spricht, ist ihm zweierlei sicher: zum einen der Beifall aus der falschen, der rechtsradikalen Ecke, zum anderen die bisweilen verstörend wirkenden emotionalen Vorwürfe des – wie er es nennt – liberalen Bürgertums, das ihm vorwirft, das Geschäft der Rechtsradikalen zu betreiben.

 

 

 

Deshalb erscheint mir die wägende Lektüre der einzelnen Kapitel des Buches wichtig zu sein, denn hier zeigt sich, dass sich Palmer ohne Scheuklappen den Problemen widmet, die sich in dem Augenblick ergeben, in dem Integration versucht wird. Und da geht es um ganz unterschiedliche Themen: um die Tücken unseres Baurechts etwa, um unser Rechtssystem insgesamt, vor allem den Eigentumsbegriff im Falle unvermieteten Wohnraums, um die zum Teil völlig überzogenen Erwartungen von Flüchtlingen an das Aufnahmeland, sicherlich auch um Kriminalität unter und bei Flüchtlingen. Auch um die Veränderungen, die sich zwischen den Geschlechtern ergeben haben, wenn Frau einem Flüchtling ein deutliches Nein formuliert, dies aber aus ethnologischen, anerzogenen Gründen überhaupt nicht akzeptiert wird.

 

 

 

Und natürlich geht es auch um die Medien und ihre Rolle im Prozess der Meinungsbildung zu diesem Thema. Bereits im Frühling 2015 sorgte sich eine große Zahl von Kommunalpolitikern um die Aufnahmefähigkeit ihrer Kommunen bei dem enormen Andrang an Flüchtlingen. Gleichzeitig feierte sich das Land in allen Medien für die Öffnung der Grenzen. Obwohl eine Mehrheit der Deutschen bereits im Dezember 2015 der Flüchtlingspolitik Merkels gegenüber kritisch eingestellt war, fand sich erst nach der Silvesternacht 2015 eine Mehrheit der Medien bereit, auch die kritischen Aspekten der Flüchtlingsdebatte darzustellen.

 

 

 

Nein, man muss nicht alle Standpunkte Palmers in dieser Debatte teilen. Was mir an diesem Buch aber imponiert hat, ist die genaue Schilderung der unterschiedlichen Probleme. Es traut dem Leser durchaus eine eigene Meinung zu bzw. ermutigt ihn dazu. Für mich ist das Buch daher ein gewichtiger Beitrag zur Debatte über Flüchtlinge, die uns ganz gewiss noch lange begleiten wird.

 

 

 

Dies Buch ist im Siedler Verlag erschienen mit der EAN 978 3 8275 0107 3 und kostet 18 Euro.

 

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