Klaus Modick - Keyserlings Geheimnis

Sind Sie vielleicht auch schon einmal in der Neuen Pinakothek in München über ein für den Maler Lovis Corinth recht untypisches Porträt gestolpert, das die Hässlichkeit der dort abgebildeten Person geschickt mit dem morbiden Glanz einer vergangenen Epoche verbindet? Dann standen Sie vermutlich vor dem im Jahre 1900 entstandenen Bild des Grafen Eduard von Keyserling. Von ihm, aber auch von Corinth, von Frank Wedekind, von Max Halbe und anderen der Münchener Bohème ist in dem neuen Buch von Klaus Modick die Rede.

 

In erster Linie geht es natürlich um Keyserling und sein Schicksal: Geboren ist er 1855 in Tels-Paddern in der Nähe der Ortschaft Hasenpoth im baltischen Kurland, in einem Schloss, in dem er einen großen Teil seiner Jugend verbrachte. Zum Studieren geht er, wie damals durchaus üblich, nach Dorpat, muss aber überstürzt nach Wien fliehen. Hier in Wien kann er sich endlich ganz der Literatur und Philosophie widmen und wird zum Schriftsteller. Für vier Jahre muss er aus Wien zurück nach Kurland, den Bruder vertreten. Dann geht er nach München und wird sehr schnell zum beliebten Mitglied der Schwabinger Bohème.

 

Modick erzählt diese Geschichte nicht gradlinig durch, sondern macht uns in Rückblenden mit den verschiedenen Stationen dieses Lebens bekannt. Wir erleben Keyserling, eher zurückgezogen lebend, zusammen mit den beiden Schwestern. Sie führen ihm den Haushalt, helfen dem fast erblindeten Schriftsteller aber auch bei der Erstellung und Korrektur seiner Literatur. Ein Treffen mit Corinth, Halbe und Wedekind zeigt recht deutlich, was Bohème damals bedeutete, und offenbart auch Keyserlings desolaten Gesundheitszustand. Im Gegensatz dazu stehen die Beschreibungen und Landschaftsschilderungen aus dem Kurland seiner Jugend; mehr als einmal wird deutlich, dass der baltische Adel sich überlebt hatte.

 

Es gibt zwei Erzählschwerpunkte, mit denen wir zeitversetzt immer wieder konfrontiert werden: zum einen die Ereignisse während des Studiums in Dorpat 1875 bis 1877 und seine geheimnisvolle Beziehung zur Familie des Grafen Friedrich von Cray. Keyserling wird sich ein Lebtag weigern, darüber zu sprechen. Zum anderen die Geschehnisse in Bernried, einer Sommerfrische der Münchner Bohème: Dort entsteht das erwähnte Porträt, und dort kommt es zu einer folgenschweren Begegnung Keyserlings mit seiner eigenen Vergangenheit.

 

Meisterlich trifft Modick den Ton dieser Vorkriegsepoche und verzahnt geschickt die verschiedenen Zeitebenen. So entsteht ein faszinierendes, ausgesprochen spannend zu lesendes Porträt eines heute fast schon vergessenen „impressionistischen“ Dichters. Ein großartiges Leseerlebnis, das sich durchaus mit Modicks vorigem Buch „Konzert ohne Dichter“ vergleichen lässt.

 

Das Buch ist im Verlag Kiepenheuer und Witsch mit der ISBN 978-3-4620-5156-8 erschienen und kostet 20 Euro.

 

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