Klaus Brinkbäumer - Nachruf auf Amerika

Ist nicht eigentlich schon alles gesagt? Zum Thema Trump, Amerika, Riss in der atlantischen Allianz, Obama, Handelskrieg, Amerika versus China und umgekehrt? Nein, ich glaube, man kann durch die Lektüre dieses Buches einiges neu und anders kennenlernen. Klaus Brinkbäumer, bis August dieses Jahres als Chefredakteur beim Spiegel beschäftigt, hat ein Sachbuch abgeliefert, das ich all denen empfehlen möchte, die an Amerika interessiert sind und ein Buch lesen wollen, das an keiner Stelle langweilig ist. Denn der Autor versteht sein Geschäft, hat für immerhin vier Jahre als Journalist des „Spiegel“ in Amerika gearbeitet, Schwerpunkt New York, und weiß, wie man eine Geschichte schreiben muss, damit sie beim Leser hängen bleibt.

 

Deshalb gibt es in diesem Buch zwar eine Grobeinteilung in vier Hauptkapitel, nämlich „Der Atlantische Graben“, „Die Stadt“ (New York), „Das Land“ (USA) sowie „Die und wir. Fremde Freunde“. Viel wichtiger scheinen mir aber die Themenfelder zu sein, die sich durch das gesamte Buch erstrecken und in ihrer Verschränkung die komplexe Realität dieses großen Landes spiegeln. Da gibt es zum Beispiel die Abschnitte, die sich mit den unterschiedlichen Aktivitäten des Donald Trump auseinandersetzen und dabei alle „gerichtsfest“ recherchiert sind. Gewiss haben sich viele Leserinnen und Leser seit dem Amtsantritt dieses Präsidenten mit seinem Vorleben und seinen fast unglaublich zu nennenden Handelspraktiken beschäftigt. Im Abschnitt „Trumptown, III.“ des ersten Kapitels werden allerdings die Daten genannt, die er weit vor seiner Präsidentschaft in den 1980er- und 1990er-Jahren der Öffentlichkeit präsentierte. Selten hatten seine Aussagen damals etwas mit der Realität zu tun: Trump behauptete Vermögenswerte, er „besaß“ lediglich Schulden, konnte nur durch eine konzertierte Aktion der Banken vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet werden. Trump lernte in dieser Zeit außerdem den skrupellosen Anwalt Roy Cohn kennen und nutzte dessen Nähe zu Halb- und Unterwelt. Cohn prozessierte beispielsweise erfolgreich per Gegenklage, wenn die amerikanische Regierung gegen den Baulöwen Trump ermittelte, weil dieser nicht an Schwarze vermieten wollte. Auch für andere schmutzige steuersparende Dienstleistungen war Cohn genau der Richtige. Brinkbäumer über die Vorgeschichte des heutigen Präsidenten: „… und da war das organisierte Verbrechen als Partner. Da waren Reichtum und Ruhm als einzige Ziele. Und Werte oder Moral oder der Glaube an irgendetwas anderes als Geld und Berühmtheit fehlten von Anfang an.“

 

Was ist die Stadt New York? Was macht sie so außergewöhnlich? Brinkbäumer erzählt vom atemberaubenden Tempo und der ungeheuren Kraft dieser Stadt, die niemanden unbeeindruckt lässt. Dem stehen finsteren Seiten entgegen, z. B. die absolut marode Infrastruktur, wie der Zustand der Subway jeden Tag vor Augen führt. Verwahrloste Bahnhöfe leiden unter einer Rattenplage, der schlechte Zustand der Gleise ist sprichwörtlich, die Kanalisation ist völlig unzureichend. Fremd und pragmatisch das Geschlechterverhältnis: Wer eine Verlobung mit einer New Yorkerin eingehen will, ist gehalten, einen Ring zu schenken, der mindestens ein Zwölftel des Jahresgehalts kostet, sonst könnte es gut sein, dass die Eltern der Dame eine Heirat ausschließen. Und New York verändert sich, wird immer teurer; daher verlassen die Ur-New-Yorker zunehmend die Stadt, in der die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden.

 

Schön, dass Brinkbäumer auch den Sport in seine Analyse einbezieht. So erfahren wir etwas über die Straßenbasketballer der Stadt und wie sich der Boxsport dort in den letzten Jahren verändert hat. Die Literatur New Yorks wird im Porträt berühmter Autoren, nämlich Joan Didion und Philip Ross, vorgestellt.

 

Anschließend springt der Autor, verlässt New York und macht uns mit dem großen widersprüchlichen Land vertraut, wobei er die Mittel nicht ändert, also weiterhin großartige Einzelporträts und überzeugende Analyse liefert. Unter der Rubrik „Amerikanische Helden“ werden die Chefredakteure der New York Times und der Washington Post vorgestellt, David Foster Wallace und Bruce Springsteen folgen. Dem Porträt des Ehepaares Obama ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das in Teilen durchaus kritisch ausfällt.

 

Auch die amerikanische Presse findet ihren Platz in diesem Buch. Brinkbäumer nennt diesen Abschnitt bezeichnenderweise „Der Lärm“. Neben den Auflagenrückgängen fast aller Zeitungen im letzten Jahrzehnt dominieren immer mehr konservative und reaktionäre kleine oder kleinste Zeitungen und Sender den Markt. Um genaue Berichterstattung geht es bei ihnen kaum noch, denn es fehlt ein seriöser Journalismus. Eine ungeheure Verrohung und eine Atmosphäre der Unterstellungen vergiftet daher zunehmend die öffentliche Meinung Amerikas. Dazu kommen die neuen Entwicklungen der „Social Media“, die zunehmend mit „Fake News“ arbeiten und deren Verdächtigungen schon so manche politische Karriere beendet haben. Paradox: Obama bediente sich geschickt der neuen Medien, um seine Gefolgschaft zu mobilisieren, Trump wendet dieses Mittel zum infamen Wahlkampf gegen Hillary Clinton.

 

Was wird aus Amerika? Gibt es Perspektiven für seine innere Struktur? Wie kann sich das Land weiterentwickeln? Wie zuverlässig ist es als Bündnispartner? All diese Fragen diskutiert Brinkbäumer in den letzten Kapiteln dieses faszinierenden Buches. Ich halte es für ein Must-Have für alle politisch Interessierten. Es ist unter der EAN 978 3 10 397232 0 erschienen und kostet 24 Euro.

 

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