Henriksen - Wer die Goldkehlchen stört

Was tun, wenn man als norwegischer Tontechniker und Insider des großstädtischen Aufnahmegeschäfts in diesen Tagen in einer tiefen Krise steckt? Jim Gystad, der Erzähler unseres Romans, flüchtet sich seit geraumer Zeit in den Alkohol. Da kommt ihm ein Zufall zur Hilfe: Im Dorf seiner Kindheit, in Kongsvinger, hört er bei einer Taufe eher durch Zufall ein Seniorentrio – zwei Frauen und ein Mann singen – und weiß sofort, die will ich aufnehmen, diese Musik ist es wert. Aber das Trio, die Thorsen-Geschwister Maria, Timoteus und Tulla, macht es Gystad nicht leicht. Als er sein Anliegen vorbringt, wird er von Timoteus rüde zurückgewiesen.

 

Was tun, wenn man nicht aufgeben will? Gystad zieht von Oslo nach Kongsvinger, arbeitet wieder in seinem alten Beruf als Elektriker und versucht, möglichst viel über die unzugänglichen Gesangsoldies herauszubekommen. Und da gibt es einiges aus der Biografie dieser drei, was besonders ist. Angefangen von den ab 1959 produzierten Platten mit Musik aus der Tradition der christlichen Pfingstgemeinschaften, wobei die Stimmen von einer Gitarre und einer Mandoline begleitet wurden. Dann die Amerikatour, die die drei Mitte der Sechzigerjahre in die Pfingstgemeinde der USA unternahmen und auf der Tulla in den Südstaaten einen Prediger dunkler Hautfarbe kennenlernt, ihren späteren Mann Jenga. Selbst in den USA kommen die Lieder trotz der norwegischen Texte an.

 

Und noch zwei andere Liebesgeschichten sind in dieses großartige Buch eingeflochten: Die von Maria, die einem Heiratsschwindler in New York auf den Leim geht,und die von Timoteus, der kurz vor der Amerikatour von seiner damaligen Verlobten Thina Hval einen Brief erhält, der ihre Verlobung ohne Angabe von Gründen aufkündigt. Seitdem gab es nie wieder Kontakt zwischen den beiden.

 

Man fiebert beim Lesen förmlich mit, wie es Jim gelingt, nach und nach das Vertrauen aller Thorsens zu gewinnen, man kann es nicht erwarten, was genau aus Tullas großer Liebe und deren Folgen geworden ist, man staunt, dass nicht nur der Glaube, sondern auch ein findiger Unternehmer Häuser wie Berge versetzen kann. Wir werden Zeuge, wie die Thorsens in zwei Konzerten – einmal privat, einmal öffentlich – alte und neue Lieder vortragen und wie das Publikum auf diese Darbietungen reagiert. Denn „das war Musik, die nicht gedacht zu werden brauchte, die nicht arrangiert oder analysiert zu werden brauchte. Musik, die einfach nur da war.“ (S. 209).

 

Für mich stellt sich allerdings die Frage, warum der Verlag btb, bei dem das Buch unter der ISBN 978-3442-71680-7 zum Preis von 10 Euro erschienen ist, diesem außergewöhnlichen Roman in seinem Programm nicht mehr Bedeutung eingeräumt und ihm darüber hinaus kein Hardcover, vielleicht sogar mit Lesebändchen, gegönnt hat. In seinem Heimatland tritt Levi Henriksen vor allem als bekannter, sogar schon als „Bob Dylan Norwegens“ titulierter Musiker auf. Auch in Deutschland gibt es Bücher von ihm. Die Zurückhaltung des Verlages ist also schwer verständlich.

 

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