Muss Wissenschaft eigentlich – sprachlich betrachtet – immer schwierig oder sperrig sein? Einige Historiker beantworten diese Frage seit einiger Zeit eher mit Nein und legen dem geneigten Publikum zunehmend Publikationen vor, in denen auch entferntere Sachverhalte klar und deutlich vermittelt werden. So informiert uns Harald Haarmann in seinem neu erschienen Buch über ganz unterschiedliche Kulturen, die zum Teil über 320 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung entstanden sind, und er tut dies ungewöhnlich spannend und allgemein verständlich.
In insgesamt 25 Kapiteln stellt uns der Autor Kulturen vor, die in unseren Geschichtsbüchern kaum oder nur marginal vorkommen. Sie waren zu ihrer Zeit sehr wichtig, haben auch durchaus Bahnbrechendes verändert, nur hat sich diese Erkenntnis allenfalls in den Spezialforschungszweigen durchgesetzt. Dabei wäre es für uns heute durchaus interessant, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Ein paar Beispiele gefällig? Einer der frühesten Hominiden, der Heidelbergmensch, verbesserte den Speer als Waffe fast auf das Niveau unserer heute bei den olympischen Spielen eingesetzten Speere. Wir meinten darüber hinaus bis vor Kurzem, dass die ältesten Tempel der Welt von sesshaften Bauern in Mesopotamien und Ägypten errichtet wurden. Weit gefehlt: Jäger und Sammler in Ostanatolien taten es vorher, nämlich schon 10 000 vor Christus. In den frühen Hochkulturen treffen wir in der Donauzivilisation, also etwa vor etwa 6000 Jahren, auf ein Gesellschaftsmodell, das weitgehend ohne Hierarchien auskommt und zudem nicht patriarchalisch organisiert ist. Griechen und Römer haben in unseren Geschichtsbüchern ihren verdientermaßen gewichtigen Ort. Gern wird dabei vergessen, dass die Griechen den Pelasgern eine Menge verdanken und dass die Römer bei den Etruskern kopiert, abgeguckt und gelernt haben. Bei beiden zeigt sich das in zahlreichen sprachlichen Entlehnungen. Wussten Sie, dass die Wörter Aroma, Theater, Psyche und Narzisse pelaskischen Ursprungs sind? Und die Wörter Anker, Kiel und Ruderbank sich aus dem Etruskischen über das Lateinische vermittelt haben? Denn die Etrusker waren große Seefahrer.
Dabei machen diese beiden angesprochenen Themen nur einen kleinen Teil dieses Buches aus, denn Haarman entführt uns in ganz unterschiedliche Regionen und Zeiten und macht uns mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen bekannt. Wir erfahren von den Robbenjägern auf dem Eisschelf vor ca. 20 000 Jahren, verfolgen die Entwicklung der Jägerkultur um Göbekli Tepe vor ca. 10 000 Jahren. Wir beschäftigen uns mit der Entwicklung einer Handelsmetropole im Persischen Golf namens Dilmun, werden bei einer Beschreibung der Stadt Hattuscha bekannt gemacht mit dem Schicksal der Hethiter. Wir hören von der Gesandschaft der Pharaonin Hatschepsut in das sagenumwobenen Goldland Punkt. Auch die Reiternomaden der Skythen werden vorgestellt, eine wichtige Großmacht der eurasischen Steppe um ca. 8000 bis 2000 vor Christus. Zwei große Frauen der Antike werden beschrieben: die sagenumwobene Königin von Saba sowie Zenobia, die Königin von Palmyra, die sich mit ihrem Königreich im Gebiet des heutigen Syrien gegen das Imperium Romanum auflehnte.
Dieses Buch eignet sich für alle geschichtlich Interessierten. Man kann die einzelnen Kapitel quasi als Betthupferl vor dem Einschlafen konsumieren. Aber Vorsicht: Die Texte sind so gut geschrieben und so vorzüglich illustriert, dass an Schlafen plötzlich kaum zu denken ist. Schade, dass diese kurzweilige Publikation schon nach 223 Seiten endet!
Sie ist im Verlag Beck unter der Nummer 978 3 406 73410 6 erschienen und kostet 18 Euro.
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