Copyright des Originalumschlags bei Kunstmann Verlag 2016
Tim Parks - Worüber wir sprechen
Schon das Vorwort zeigt, dass wir es bei Tim Parks mit einem Querkopf zu tun haben, mit einem, der sich nicht scheut, eine abweichende Meinung zu äußern. Ein Literatur-Profi also, der uns Leserinnen und Leser an die Hand nimmt und uns zum Nachdenken anregt. Sein großer Vorteil dabei: Er ist Romanautor, Viel-Leser, begnadeter Übersetzter vom Englischen ins Italienische, Sachbuchautor, Juror und Essayist – und überhaupt einer, der den Literatur- und Vermarktungsbetrieb wie seine eigene Westentasche kennt.
Parks gliedert sein Buch in vier Teile. Im ersten Teil, „Die Welt des Buches“, fragt er danach, ob wir als Lesende tatsächlich – wie es so schön heißt – „Geschichten brauchen“. Parks kommt dabei zu der ernüchternden Erkenntnis, dass wir fiktive, komplexe Geschichten als „Intensivierung des Ich“ zum Verständnis der Welt zwar eigentlich nicht brauchen, aber ohne Vorbehalte lieben können und dürfen. Und nein, wir müssen Bücher nicht zu Ende lesen, wenn diese uns nicht liegen. Wir können die Lektüre sogar an einer bestimmten Stelle bewusst abbrechen; dafür gibt es viele Gründe. Denn dem Buch schadet es ebenso wenig wie dem Leser.
Weiter postuliert Parks: E-Books sind aufgrund ihrer Beschaffenheit eher etwas für Erwachsene. Ein Copyright ist gut für Romane, nicht aber für Lyrik. Ist die globalisierte Form des Romans tatsächlich eine Bereicherung? Parks meint: Nein, denn wenn ein Autor stets Rücksicht auf ein weltweites Massenpublikum nehmen muss, schreibt er nicht mehr aus seiner Tradition, seinem Milieu entsprechend. Dem eigenen Lesen-Lernen stellt Parks ferner ein Kapitel über das Falschlesen gegenüber. Hier geht es vor allem um das Übersetzen, das ja immer auch ein ausdeutendes Interpretieren ist. Außerdem beschreibt er die notwendigen Unterschiede in der Beurteilung eines Romans.
Der zweite Teil, „Das Buch in der Welt“, ist ein sehr überzeugendes Plädoyer für eine Literatur, die sich auf das beschränkt, was sie tatsächlich begreifen und verarbeiten kann. Es gibt eben Autoren, die kaum übersetz- oder vermittelbar sind, da sie in Texten leben, die voller lokaler, geschichtlicher oder sprachlicher Konnotationen sind. Das nämlich widerspricht der Tendenz zu einer globalisierten Literaturwelt, die sich vor allem in amerikanischem Englisch ausdrückt.
Der Tradition des Nobelpreises verweigert sich Parks. Er stellt überzeugend dar, wie absurd der zugehörige Findungsprozess ist, weil die Anforderungen an die Autoren-Auswahl universal formuliert werden. Zwei Unterkapitel haben mich besonders amüsiert: das eine über „Literatur und Bürokratie“ und das andere über die Biografien von großen Schriftstellern. Besonders gelungen ist die Gegenüberstellung von Texten der Biografierten und der unkritischen Bewertung des Lebenslaufs. Schriftsteller sind eben nicht sakrosankt, weil sie Großes geschrieben haben, sondern Menschen wie du und ich.
„Die Welt des Schriftstellers“, das dritte Kapitel, fragt nach der Welt der Autoren selbst. Als was verstehen sie sich? Als was verstehen Außenstehende sie? Wie veränderte die Geschichte die Rolle der Schriftsteller? Welche Rolle spielen zum Beispiel Literaturagenten für die Schreibenden, wie verändert die moderne Kommunikation das Leben der Autoren, beispielsweise durch Festivals, Shortlists, Lesungen, Vorträge? Wie verändert das Erscheinen eines Erstlings die Welt eines Schriftstellers? Gewinnt er dabei nur? Bekommt die Öffentlichkeit bessere Texte, wenn die Literatur besser bezahlt wird? Auch hier erhalten wir zum Teil erstaunliche Antworten: sachorientiert, pointiert – und erfrischend anders, als wir es aus den Feuilletons gewohnt sind.
Spannend und zugleich unterhaltsam ist auch der letzte Abschnitt des Buches, „Schreiben rund um die Welt“. Noch einmal geht es um die globalisierten Sprachen Englisch und Amerikanisch. Und um die Selbstdefinition dessen, was ein Übersetzer können muss, wenn er seiner Aufgabe gerecht werden will. Am Beispiel einer ins Deutsche übersetzten Filmvorlage belegt Parks, wie schief so etwas gehen kann.
Diesem Buch wünsche ich eine ganz große Verbreitung! Es regt zum Weiterlesen an und schärft den Blick auf unser Literaturgeschäft. Damit ist ein ideales Geschenk für Literaturliebhaber und für Menschen, die über das reine Lesen hinausdenken. Erfreulicherweise gibt es eine gebundene Ausgabe bei Kunstmann für 20 Euro und eine Taschenbuchausgabe bei Goldmann für 12 Euro.
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