Südtirol in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts: Trina und Erich bewirtschaften eine kleine Bergbauernstelle in der Nähe der Stadt Graun. Die beiden kommen einigermaßen über die Runden und haben zwei Kinder. Aber die Zeichen stehen auf Sturm, denn die italienischen Faschisten bedrängen zunehmend die deutsche Minderheit, zu der die Familie gehört. So löst zum Beispiel die italienische Sprache Deutsch als Amtssprache ab, was auch für die Schulen gilt. Auch diese Änderung wird brachial durchgesetzt.
Erich hängt an seiner Heimat. Trina unterstützt ihn, indem sie illegal Deutschkurse im Untergrund gibt – ein gefährliches Unterfangen. Sie selbst möchte gern Lehrerin werden, ist eine leidenschaftliche Leserin und versucht einen fast unmöglichen Spagat zwischen harter körperlicher und geistiger Arbeit. Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland und seinem zunehmenden Einfluss auf die österreichische Politik zerfällt das Dorf in zwei Fraktionen: diejenigen, die bleiben wollen, und die anderen, die ihr Heil im Umzug nach Deutschland sehen.
Jetzt bricht das Unglück auch im Privaten über die Familie hinein. Die Tochter Marica wird von Erichs Verwandten nach Deutschland entführt. In einem Brief nach Hause verteidigt sie sogar diese Entführung. Und als ob das nicht schon bedrückend genug wäre, wird auch noch ein Plan der italienischen Regierung bekannt, einen Stausee zu bauen, in dem Graun und seine Umgebung verschwinden sollen.
Erich wird 1940 eingezogen und kämpft – obwohl überzeugter Antifaschist – auf der Seite der Italiener in Jugoslawien. Der Sohn Michael ist inzwischen zum Anhänger Hitlers geworden. Vater und Sohn reden fortan kaum noch ein Wort miteinander. Kurz vor Kriegsende kehrt Erich verwundet nach Hause zurück. Als er erneut eingezogen werden soll, fliehen er und Trina in die Berge, wo sie auf andere Deserteure treffen und die Brutalität des Krieges hautnah miterleben. Wird es wohl nach dem Krieg besser in Graun?
Marco Balzano hat ein gutes und sehr hartes Buch geschrieben. Mit Erich als heimatverbundenem erdigem Landmenschen und seiner Frau Trina, die sich immer wieder in ihrer Art in die Zeitläufte einmischt, und mit der Schilderung des Dorfes insgesamt ist ihm das Porträt einer Epoche gelungen, die auf den Einzelnen und sein Schicksal wenig Rücksicht nimmt. Wir erleben eine Zeit, die uns zwar fern ist, aber manche verstörende Parallele zu unserem Jetzt aufweist.
Die Geschichte ist darüber hinaus elegant und flüssig geschrieben und zieht uns von der ersten Seite an in seinen Bann. Jedem, der einen brillanten historischen Roman lesen möchte, in dem die Menschen nicht nur als Staffage vorkommen, sondern selbst das Thema sind, sei dieses Buch im wahrsten Sinne ans Herz gelegt.
„Ich bleibe hier“ ist unter der EAN 978 3 257 07121 4 erschienen und kostet 22 Euro.
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