Büttner/Gottdang - Ikonographie

 

Der Untertitel ist Programm: Auf etwas mehr als dreihundert Seiten bieten die beiden Autoren „Wege zur Deutung von Bildinhalten“. An einem Beispiel wird deutlich, wie wichtig eine solche Interpretationshilfe sein kann. Die Arnolfini-Hochzeit des niederländischen Malers Jan van Eyck aus dem Jahre 1434 zeigt zwei wohl relativ wohlhabende Personen in einem großbürgerlichen Zusammenhang. Die Arnolfinis waren eine große italienische Kaufmanns- und Bankiersfamilie. In Brügge gab es ein Kontor. Aber dieses Wissen allein reicht zur Deutung des komplexen Bildinhalts bei Weitem nicht aus.

 

Was wird also in dem Bildnis ausgesagt? Giovanni Arnolfini heiratet Giovanna Cenami. Da er ihr die linke Hand hinhält, kann man von einer morganatischen Eheschließung, also einer sogenannten Ehe zur linken Hand ausgehen. Offenbar ist das Paar verschiedenen Standes. Der Spiegel im Hintergrund zeigt weitere Personen, die der Zeremonie beiwohnen, vielleicht sogar den Maler selbst; eigenartigerweise fehlt darin jedoch das Hündchen. Im Gemälde ist es dagegen der Frau als Symbol der ehelichen Treue zugeordnet. Die vorn rechts abgestellten Holzpantinen sind kein Zeichen von Unordnung, sondern stehen für die Ehe als „heiligem Bezirk“. In diesem hatte man sich aus Respekt der Schuhe zu entledigen.

 

Auch die Kleiderfarben der Braut verweisen auf die Keuschheit der Abgebildeten. In gewissem Widerspruch dazu erscheint sie uns schwanger, also als eine Frau, die dem Prototyp einer Ehefrau jener Zeit entspricht. Van Eyck verwendet die Darstellung dieses Körperzustands jedoch symbolisch: Giovannas Cenamis Körperumfang steht für ihre – angenommene – Fruchtbarkeit, nicht für eine vorhandene Schwangerschaft. Dass sie mit einer Kopfbedeckung ihr Haar verbirgt, ist wiederum nicht modisch bedingt, sondern eine Regel, der sich jede verheiratete Frau fügen musste. Offenbar steckt in diesem Bild also ein ganzes Programm, das den Zeitgenossen bekannt war, doch uns heute allenfalls ansatzweise.

 

Dasselbe gilt für einen Großteil der christlichen Ikonografie, die Büttner und Gottdang in verschiedenen Themensträngen vor uns ausbreiten. Es gibt einen historischen und einen systematischen Überblick, die uns in den Stand versetzen, Bildinhalte zu verstehen und auszudeuten. Was mir besonders geholfen hat, sind exemplarische Analysen, zum Beispiel das „ikonographische Programm gotischer Kathedralen“ in deren Portalen.

 

Aber auch die profane Ikonografie kommt in diesem Band natürlich nicht zu kurz. Nach einem historischen Überblick erfolgt im systematischen Teil eine ausführliche Erläuterung: Wir erfahren etwas über Symbolik, Hieroglyphik und Emblematik, werden danach mit Allegorie und Personifikation im Bild bekannt gemacht. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit Symbol und Zeichen im Bild des 19. und 20. Jahrhunderts. Ausführlich informiert uns das Autorenduo über Begriff und Inhalt der Mythologie und ihrer Ausformung in den Darstellungen der Bild-Kunst. Wie werden abschließend Geschichte und Dichtung im Bild verarbeitet? Auch hier ist uns das Buch ein aufmerksamer Begleiter, der keine Frage offen lässt.

 

Frank Büttner und Andrea Gottdang haben in der Reihe Beck Studium einen durchaus verständlichen, aber auch komprimierten Band über die Ikonografie vorgelegt. Sie definieren ausführlich, was diesen wichtigen Zweig der Kunstgeschichte ausmacht und warum eine solche Betrachtung uns auch in der bildenden Kunst der Jetzzeit begleiten sollte. Die Lektüre dieses Buchs hat mich gefesselt, gerade weil der Gegenstand durchaus komplex und vielgestaltig ist. Wer wissen möchte, wie man sich „mit den Darstellungsinhalten der bildenden Kunst und ihrer Deutung vertraut machen kann“, sollte an diesem Buch nicht vorbeigehen.

 

Die Einführung in die Ikonographie von Frank Büttner und Andrea Gottdang ist im Verlag C. H. Beck erschienen, trägt die ISBN 978 3 406 74280 4 und kostet lediglich 22 Euro.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0