Kaum einer der Taschenbuchleser der Siebziger-, Achtziger- oder Neuenzigerjahre kam an ihnen vorbei: den preiswerten und ausgesprochen schön gestalteten Exemplaren des Deutschen Taschenbuchverlags (DTV) aus München. Viele Buchhändler haben nicht nur das Erscheinungsbild dieses Verlags mit den zahlreichen Reihen und Unterreihen geliebt, sondern sich – wie ich auch – das eine oder andere Werbeplakat mit nach Hause mitgenommen und dort aufgehoben.
Wie weit Celestino Piatti das gestalterische Leben des DTV geprägt hat, wurde mir erst bei der Lektüre des im Oktober 2021 erschienen Buches klar, das ich aus manchen Gründen für einen Glücksfall halte. Denn hier wird erstmalig ausführlich die gemeinsame Geschichte von DTV und Piatti vorgestellt.
Und das auf mehreren Ebenen: Jens Müller steuert in seinem Essay „Ein moderner Klassiker“ entscheidende Fakten bei. So entstehen in ca. dreißig Jahren zirka 6000 (!) Buchumschläge in einer Auflage von mehr als 200 Millionen Exemplaren. Piatti gestaltete die Cover und deren Motive, nicht nur für die belletristischen Titel und die Werkausgaben der Klassiker, sondern eben auch für alle Titel aus dem Sachbuchbereich und der verschiedenen Lexika. Neben der Reihe „Dokumente“, die in der Regel historische bzw. zeitgeschichtliche Themen behandelte, auch die Gesetzestexte, die in Kooperation mit dem Verlag C.H. Beck entstanden.
Ganz besonders beeindruckt der Essay von Barbara Piatti über den Briefwechsel zwischen dem Verleger Heinz Friedrich und dem Gestalter Celestino Piatti. Denn in ihnen spiegelt sich sowohl die kaufmännische Seite der Zusammenarbeit als auch die menschliche. Während Friedrich auf das Funktionieren der Innen- und Außenwerbung für den DTV dringen musste, war für Piatti dieser zwar der Topkunde, aber eben nicht der einzige. Mir hat imponiert, dass in allen, zum Teil auch konfliktträchtigen Briefen die Höflichkeit dominierte und der Versuch, gemeinsam eine Position zu finden, mit der beide leben konnten.
Das trifft sicher – last not least – auch für die Cover der Kinderbücher bei DTV junior zu, die Piatti besonders am Herzen lagen. So, und nun hätte ich dieses Buch ja schnell wieder zuklappen können, vielleicht noch unter Berücksichtigung der Ausflüge Piattis in die Welt der gebundenen Kinderbücher im Abschnitt „Lesefibeln und Kinderbücher“. Sie sind wirklich ein Kapitel für sich und lohnen die genaue Betrachtung.
Aber das auf Deutsch und Englisch gedruckte Werk verleitet zum schweifenden Blättern und Betrachten. Ich entdeckte groß- und kleinformatige Kunstwerke, teilweise orientiert an den Genies in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts, zum Beispiel Pablo Picasso oder Georges Braque. Die Abbildungen besitzen eine hervorragende Qualität, die zum genaueren Betrachten verleitet. Ein Beigabe-Plakat, das auf der Vorderseite für DTV wirbt und auf der Rückseite ein wunderbares Tiermotiv wiedergibt, verstärkt den Eindruck, dass hier ein kleines Meisterwerk gelungen ist, dessen Gestaltung sowohl von den gewählten Materialien her als auch von der Typografie in allem überzeugt.
Dazu liefern die von den Herausgebern verpflichteten Autoren Texte, die das Phänomen Piatti von allen Seiten eloquent beleuchten und damit den durchaus politisch aktiven Künstler und Handwerker aus allen Perspektiven vorstellen. Dieses Buch gehört zu den raren Kunstbüchern, die die Abkunft des Gestalterischen aus dem Handwerk gelungen vor Augen führen.
Claudio Miozzari, Barbara Piatti, Celestino Piatti: Alles, was ich male, hat Augen. Christoph Merian Verlag DTV, ISBN 978 3 423 28300 7, € 59.00
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