Seitdem ich Kunst denken kann, begleiten mich seine Bilder. Ein Plakat, das im Jahr 1982 für „100 Jahre Kieler Woche“ warb und eines seiner wunderbaren Segelmotive dafür verwendet, begegnet mir bis heute jeden Tag. Bis in das Jahr 2021 fehlte eine wirklich fundierte Biografie von Lyonel Feininger. Die vorliegende ist ein Glücksfall, denn der Autor versteht als Journalist sein Schreib-Handwerk und ist außerdem ein Kenner von Comics.
In mancherlei Hinsicht hat mich das Buch überrascht: Feininger wird erst mit 36 Jahren Kunstmaler. Vorher verdiente er sich als Comiczeichner für diverse deutsche, französische und US-amerikanische Zeitungen und Zeitschriften seinen Lebensunterhalt. Seinen Weg hat er sich hart erkämpfen müssen, denn seine Eltern, beide Berufsmusiker, hätten lieber einen Geiger aus ihm gemacht.
Erst ab 1909 war Feininger Mitglied der Berliner Secession. Kontakte gibt es seit 1906 zum Kubismus in Paris, wo er mit seiner späteren Frau Julia lebt und arbeitet. 1913 sorgt Franz Marc für eine gemeinsame Ausstellung mit Künstlern des Blauen Reiters in Berlin. Im Ersten Weltkrieg überrascht Feininger. Der eher unpolitische Deutsch-Amerikaner nimmt hier eine entschieden prodeutsche, konservative Haltung ein. Es kommt ihm überhaupt nicht in den Sinn, die Ablehnung der USA in Deutschland als Grund zur Rückkehr nach Amerika zu nehmen.
Walter Gropius beruft Feininger 1919 als Leiter der grafischen Abteilung ins Bauhaus nach Weimar; dort soll er als Meister leben und arbeiten. Feininger zieht von Berlin nach Weimar. Dort lässt er sich schnell vom Lehren befreien, macht allerdings den von der NSDAP erzwungenen Umzug des Bauhauses nach Dessau mit. Das Leben am und die Arbeit im Bauhaus behandelt Platthaus natürlich ausführlich. Feininger nimmt auch dort eine Sonderstellung ein.
Ab 1933 wird es jedoch auch in Dessau immer schwieriger, für eine Kunst zu stehen, die sich nicht völkisch ausrichtet. Wie gut, dass es in Feiningers Umfeld Menschen gab, die ihn und seine Kunst vor dem totalitären Zugriff bewahrten oder es doch zumindest zu versuchten. Einer von ihnen war Alois Schardt, der Leiter des städtischen Museums in Halle, der 1933 sogar kurzfristig zum Direktor der Nationalgalerie Berlin berufen wird. Ihn porträtiert Platthaus ausführlich.
Oder aber Galka Scheyer, die sich als Agentin der als „The Blue Four“ bezeichneten Gruppe – zu der neben Jawlensky, Kandinsky und Klee auch Feininger zählte – in Amerika um die Verbreitung und den Umsatz dieser Künstler kümmerte. Ihr schwieriges Leben hat mich besonders berührt.
Noch einmal überrascht uns Feininger. Denn obwohl es zunehmend schwieriger wurde, als Künstler in Deutschland zu überleben, und obwohl seine Frau Julia jüdischer Abkunft war, zieht Feininger 1932 ausgerechnet nach Berlin-Zehlendorf. Und braucht dort noch bis 1936, um endlich das geliebte Deutschland Richtung New York zu verlassen.
Aber was und wie hat Feininger gemalt, radiert und geschnitzt? Platthaus zitiert den MoMA-Direktor und Freund Alfred H. Barr: „Feiningers Bezug auf die deutsche Tradition – seine Verschmelzung von kubistischen Formen mit dem hochromantischen Gefühl von Weite, Distanz, der See, gotischen Häusern und Kirchen etc. – ist übertragen gesprochen eine Art Verschmelzung von Braque und Caspar David Friedrich, selbstverständlich mit vielen originellen und persönlichen Elementen.“
Mit den Illustrationen bietet Platthaus uns eine kleine, aber feine Werk-Auswahl, die Appetit macht auf ganz viel mehr. Ein wundervolles Buch also, das in einer einfachen und durchaus verständlichen Sprache das Leben dieses Ausnahmekünstlers nachzeichnet und dabei die Begleitpersonen und den historischen Kontext an keiner Stelle vergisst.
Andreas Platthaus: Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens ist bei Rowohlt Berlin erschienen, trägt die EAN 978-3-7371-0116- 5 und kostet € 28,0
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