Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

Wien in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts: Robert Simon, Vollwaise und bei den Karmelitern aufgewachsen, arbeitet auf dem Markt als Mädchen für alles. Eines Tages ergibt sich für ihn die Möglichkeit, eine ehemalige Gaststätte zu pachten. Er sucht nach einem Namen für sein Café, aber er wird keinen finden.

 

Mit all seiner Kraft renoviert er das Lokal. In dem eher armen Viertel findet er langsam eine treue Kundschaft, die so gar nichts mit dem Publikum der großbürgerlichen Cafés der Jahrhundertwende gemein hat. Der Fleischer des Marktes, den Simon gut kennt, ist sein Gast. Viele andere werden folgen; für nicht wenige wird dieser Ort ein Teil ihres Lebens.

 

Weil die Arbeit allein kaum noch zu schaffen ist, stellt Simon Mila Szabica als Servierfrau ein. Sie ist ehemalige Hilfsnäherin aus der Steiermark . Und das Café, das mittlerweile sein Angebot auf Bier, Wein, Schnaps und kleinere Mahlzeiten erweitert hat, läuft immer besser. Simon erzählt seiner Vermieterin, einer Witwe, was sich tagsüber ereignet; sie gibt ihm Tipps für die kleinen Mahlzeiten, für die Getränke. Für das Leben allgemein.

 

Wer sind die Gäste? René Wurm ist gefeierter Ringer. Nach der Sommersaison arbeitet er als Kartenverkäufer und Rekommandeur beim Autodrom. Er verliebt sich in Mila und sie erhört ihn. Dann der Fischhändler Frank Wessely und Harald Blaha, ein pensionierter Gaswerkskassierer, der im Zweiten Weltkrieg ein Auge verloren hat; seitdem trägt er das linke aus Glas. Nach dem fünften Bier lässt er es gerne über den Tisch rollen. Heide Bartholome, die Käsehändlerin, und der Maler Mischa Troganjwe, der sie betrügt, führen eine Mesalliance im Dauerkonflikt.

 

Seethaler erzählt seine Figuren mit viel Respekt, auch dann, wenn sie quer zum Leben stehen. Arnie Stjanko, der Alkoholiker war und begnadeter Hilfsreparateur, Jana, eine geflüchtete Slowenin, die für kurze die Geliebte Simons ist, verzweifeln beide am Leben – der Erzähler lässt ihnen ihre Würde. Geschickt benutzt der Autor dabei die Form des inneren Monologs; so stellen sich die Figuren selbst vor und der achtsame Leser erfährt unkommentiert von ihrem Innersten.

 

Und während wir das Geschehen im und um das Café beobachten, verändert sich Wien, unmerklich, unerbittlich. Nach dem Krieg wurden die Trümmer beseitigt. Danach wird gebaut, gebaut und gebaut, auch eine Untergrundbahn. Und das alte Viertel rund um den Karmeliterplatz wandelt sich, wird allmählich gentrifiziert.  Kostja Vavrowski, der Besitzers des Hauses, muss verkaufen. Der Pachtvertrag wird gekündigt, und Simon feiert das Ende des Cafés: Er gibt ein rauschendes Fest. Und dann?

 

Dieses Buch endet mit einer Szene im Altersheim. Robert Simon trifft dort auf die Witwe, die ihm einst das Zimmer vermietete. Da die alte Dame mittlerweile völlig dement geworden ist, besucht er sie allwöchentlich. Sie hat die Welt vergessen und erkennt Robert Simon nicht, während dieser versucht, das Café ohne Namen zu vergessen. So finden sich zwei der Hauptfiguren zum Schluss in einer Situation wieder, die uns in ihrer Sprachlosigkeit seltsam berührt.

 

Robert Seethaler hat mit diesem Buch sein Erzählen des „einfachen Menschen“ wiedergefunden. Wir sind diesem Erzählen bereits begegnet in „Ein ganzes Leben“ und „Der Trafikant“. Ich bin ihm dankbar für dieses Buch.

 

Das Buch ist bei Claasen erschienen, trägt die ISBN 978 3 546 10032 8 und kostet 24 €.

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